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Was sind die Ursachen des Stotterns?

Eine (mögliche) Antwort auf diese Frage zu geben ist das Anliegen dieser Website. Die Ursachen des Stotterns sind immer noch unbekannt, d.h. es gibt keine wissenschaftlich anerkannte Theorie über den Mechanismus im Gehirn, der dem Stottern zugrunde liegt. Eine solche Theorie stelle ich hier vor. Sie betrifft nur das idiopathische Stotterns, also das Stottern, das zumeist im Kindesalter erstmalig auftritt (frühestens, wenn die Kinder beginnen, Sätze zu bilden), und zwar ohne erkennbare Ursache, d.h. nicht als Folge einer nachgewiesenen Schädigung des Gehirns. Beim überwiegenden Teil der betroffenen Kinder (bei ca. 80%) verschwindet die Sprechstörung nach einiger Zeit von selbst oder mit etwas therapeutischer Unterstützung; bei einigen Kindern jedoch bleibt sie bestehen. Diese chronischen Stotterer machen weltweit ungefähr ein Prozent der Bevölkerung aus.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich schreibe „Stotterer“ und verwende nicht, wie es derzeit Mode ist, Bezeichnungen wie „stotternde Menschen“ oder „Menschen, die stottern“. Diese neuen Bezeichnungen sind nicht nur umständlich und überflüssig (die Betroffenen, zu denen ich auch selbst gehöre, wissen, dass sie Menschen und nicht etwa Frösche oder Kanarienvögel). Es ist auch falsch, Stotterer als „Stotternde“ zu bezeichnen, denn viele Stotterer (wohl die meisten) sprechen die meiste Zeit ohne zu stottern – sind also meistens „nichtstotternd“. Ein Stotterer, der eine Therapie erfolgreich absolviert hat, stottert vielleicht gar nicht mehr. Trotzdem bleibt er ein Stotterer – jemand, der eine Veranlagung zu dieser Störung hat, und bei dem sie unter ungünstigen Umständen wieder auftreten kann. Mit dem Wort „Stotterer“ bezeichne ich also jemanden, der eine physische Veranlagung zum Stottern hat und bei dem es mehr oder weniger häufig – nach erfolgreicher Behandlung selten oder gar nicht – auftritt.

Die Bezeichnung „Stotternder“ ist auch deshalb nicht glücklich, weil sie den Eindruck erweckt, als ob hier jemand etwas tut, nämlich stottern. Das ist falsch. Echtes Stottern (im Gegensatz zum sogenannten Pseudostottern) ist nicht etwas, das jemand tut, sondern etwas, das gegen seinen Willen geschieht und für das er nicht verantwortlich ist – jedenfalls nicht im dem Moment, in dem es passiert. Man kann allerdings lernen, sich beim Sprechen so zu verhalten, dass Stottern seltener und im günstigsten Fall gar nicht auftritt. Dazu werde ich auf dieser Website Empfehlungen geben.

Nach den Ursachen des Stotterns wird schon lange geforscht, und dutzende Hypothesen wurden darüber aufgestellt. Dank der neuen technischen Möglichkeiten in der Hirnforschung wissen wir inzwischen sehr viel darüber, was in den Gehirnen von Stotterern anders ist als in den Gehirnen von Menschen, die nicht stottern. Außerdem ist es in den letzten Jahren gelungen, im Erbgut von Familien, in denen Stottern häufig vorkommt, einige Mutationen dingfest zu machen, mit denen die Sprechstörung vermutlich im Zusammenhang steht. Es ist aber bisher nicht gelungen zu erklären, warum Personen mit diesen Abweichungen im Gehirn oder im Erbgut nun stottern – also warum sie ungewollt Wörter oder Teile von Wörtern wiederholen, Laute dehnen und manchmal überhaupt nichts herausbekommen.

Die Theorie, die ich auf diesen Seiten vorstelle, versucht eine solche Erklärung zu geben. Es ist wichtig, zu betonen, dass es sich um eine Theorie handelt – um eine Beschreibung, wie es sein kann – nach allem, was wir derzeit wissen. Eine so komplexe Theorie wie die hier vorgeschlagene muss sich über längere Zeit als Denkmodell bewähren, der Kritik standhalten, von künftigen Forschungsergebnissen gestützt werden, um irgendwann als gültige Theorie Anerkennung zu finden.

 

Was ist neu?

Meine Stottertheorie ist nun endlich in einer wissenschaftlichen Zeitschrit veröffentlicht, im Journal of Medical Hypotheses: Developmental stuttering may be caused by insufficient processing of auditory feedback (auf deutsch: Stottern könnted durch unzureichende Verarbeitung der Hör-Rückmeldung verursacht sein).

 

Zusammenfassung der Theorie

Die Rolle der Hör-Rückmeldung (des Hörens der eigenen Stimme während des Sprechens) bei der Verursachung des Stotterns wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Bekanntlich wird durch Veränderungen der Hör-Rückmeldung das Stottern oft vorübergehend vermindert oder sogar beseitigt, doch der diesem Effekt zugrunde liegende Mechanismus ist bis heute kaum verstanden. Das idiopathische Stottern entsteht durch vorübergehende Störungen der Hör-Rückmeldung der Sprache, genauer gesagt durch Defizite bei der Verarbeitung des Rückmeldesignals im Gehirn. Die Ursache dafür ist eine Fehlverteilung der Aufmerksamkeit (und damit der Verarbeitungskapazität im Gehirn) während des Sprechens. Durch diese Rückmeldungsdefizite werden die Enden von Sprecheinheiten (also z.B. von Wörtern oder Silben) und/oder die Enden von Einatemphasen durch eine Kontrollinstanz innerhalb des Steuerungssystems nicht erkannt werden, was dazu führt, dass die nachfolgende Sprecheinheit blockiert wird. Die Theorie liefert Erklärungen für die Entstehung des kindlichen Stotterns, für die Art und Weise, wie Stottern chronisch wird, für die typische Verteilung von Stotterereignissen innerhalb der Rede und für die Variabilität des Stotterns in Abhängigkeit von Umgebungsfaktoren.

Die Abbildung zeigt den Kern der Theorie: Sprechfehlerkorrektur (links) und Stottern (rechts) basieren auf demselben Mechanismus; der Monitor (im Kreis) verhält sich in beiden Fällen gleich. MIR = Main Interruption Rule (siehe Abschnitt 2.1).

Stottern, Ursachen, Theorie: Stottern versus Sprechfehler-Korrektur


Die wichtigsten Thesen der Theorie sind:

 Stottern, Ursachen; Kausalkette


Die Abbildung zeigt die vermutete Ursachenkette für ein primäres Stottersymptom. Die Kette schließt sich zum Teufelskreis, wenn die Erfahrung des Stotterns zur Stotter-Erwartung und zur Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Störung führt:

 Stottern, Ursachen: Teufelskreis, Sekundärsymptome

Die obere Abbildung zeigt den Kreislauf des chronischen Stotterns und die verstärkende Wirkung einiger Sekundärsymptome. Die entscheidenden Teile des Teufelskreices sind der Fokus auf dem Stottern und die daraus resultierende Fehlsteuerung der Aufmerksamkeit während des Sprechens. Gerade diese Teile des Teufelskreises werden durch einige Sekundärsymptome verstärkt.
Die untere Abbildung zeigt den Einfluss von Faktoren, die vermutlich eine physischen Prädisposition für Stottern begründen, sowie den Einfluss psychischer Faktoren. Wie in der oberen Abbildung, ist die Schnittstelle zum eigentlichen „Stotter-Mechanismus“ – also jenem Teufelskreis, der einmal etabliert, sich selbst am Laufen hält – die (Fehl-) Steuerung der Aufmerksamkeit (aus Darstellungsgründen ist der „Teufelskreis“ gegenüber der oberen Abbildung gedreht).

 Stottern, Ursachen: physische Veranlagung, psychische Faktoren




Zur Orientierung auf dieser Website

Nicht zufällig habe ich ein Labyrinth als Logo gewählt: Die Theorie, die ich hier vorstelle, besteht aus vielen Teilen, die miteinander zusammenhängen. Irgendwie musste ich die Teile in eine Reihenfolge bringen, die der Leser aber nicht unbedingt einhalten muss. Die eigentliche Theorie des Stotterns ist in den Kapiteln 2 und 3 dargestellt. Das erste Kapitel behandelt das normale Sprechen und die Rolle, die das Hören der eigenen Rede für die Sprechsteuerung spielt. Dieses Kapitel ist recht umfangreich. Es enthält einige Annahmen, die von gängigen Vorstellungen abweichen und die die Basis der vorgeschlagenen Theorie des Stotterns bilden.

Die Darstellung der Theorie ist auf mehrere Seiten verteilt. Man kann vom Inhaltsverzeichnis aus auf jede dieser Seiten gehen, kann aber auch von Seite zu Seite blättern. Fußnoten sind verlinkt; man kann von der Fußnote zur betreffenden Stelle im Haupttext zurückspringen. Literaturverweise stehen in eckigen Klammern und sind unten auf der jeweiligen Seite aufgelistet. Die vollständigen Quellenangaben stehen im Literaturverzeichnis. Für Kritik und Anregungen an meine E-mail-Adresse bin ich jederzeit dankbar.

Empfehlungen für Betroffene

Diese Website richtet sich vor allem an Fachleute und an theoretisch Interessierte. Aus der vorgestellten Theorie über die Ursachen des Stotterns lassen sich jedoch Konsequenzen für die Behandlung der Störung ableiten. Auf dieser Grundlage habe ich eine Reihe von Empfehlungen für Betroffene und für Eltern stotternder Kinder formuliert. Dabei handelt es sich nicht um neue Methoden, sondern um solche, die seit langem bewährt sind und die sowohl in Selbsthilfe-Seminaren als auch von professionellen Therapeuten angewandt werden. Neu ist allenfalls die Kombination der Methoden. Sie finden diese Tipps unter „Selbsthilfe“.

 

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