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Stottern – was sind die Ursachen?

Auf diese Frage möchte ich hier eine (mögliche) Antwort geben. Ich stelle eine Theorie über die Ursachen des ,idiopathischen‘ Stotterns vor, also jenes Stotterns, das zumeist im Kindesalter erstmalig auftritt (frühestens, wenn die Kinder beginnen, Sätze zu bilden), und zwar ohne erkennbare Ursache, d.h. nicht als Folge etwa eines Schlaganfalls oder einer nachgewiesenen Hirnverletzung. Beim überwiegenden Teil der betroffenen Kinder verschwindet die Sprechstörung nach einiger Zeit von selbst oder mit etwas therapeutischer Unterstützung; bei einigen Kindern jedoch bleibt sie bestehen. Diese chronischen Stotterer machen weltweit ungefähr ein Prozent der Bevölkerung aus.

Nach den Ursachen des Stotterns wird schon lange gesucht, und es gibt viele Theorien darüber. Die systematische wissenschaftliche Erforschung begann vor etwa hundert Jahren. Dank der neuen technischen Möglichkeiten in der Hirnforschung wissen wir inzwischen sehr viel darüber, was in den Gehirnen von Stotterern anders ist als in den Gehirnen von Menschen, die nicht stottern. Außerdem ist es in den letzten Jahren gelungen, im Erbgut von Familien, in denen Stottern häufig vorkommt, einige Mutationen dingfest zu machen, mit denen die Sprechstörung vermutlich im Zusammenhang steht. Es ist aber bisher nicht gelungen zu erklären, warum Personen mit diesen Abweichungen im Gehirn oder im Erbgut nun stottern – also warum sie ungewollt Wörter oder Teile von Wörtern wiederholen, Laute dehnen und manchmal überhaupt nichts herausbekommen.

Die Theorie, die ich auf diesen Seiten vorstelle, versucht eine solche Erklärung zu geben. Es ist wichtig, zu betonen, dass es sich nur um eine Theorie handelt – um eine Beschreibung, wie es sein kann. Ich behaupte also nicht, dass es so ist. Eine so komplexe Theorie wie die hier vorgeschlagene muss sich über längere Zeit als Denkmodell bewähren, der Kritik standhalten, von künftigen Forschungsergebnissen bestätigt werden, um irgendwann als gültige Theorie Anerkennung zu finden.

 

Was ist neu?

14.8.2020:  Vorbemerkung (Aktualisierung) zu Abschnitt 2.2

24.11.2019:  Modulation des Hörens am Sprechbeginn#160;

3.6.2018:  PDF (368 KB) 

Das PDF enthält die wichtigsten Inhalte der Website. Die Untergliederung ist detaillierter als in der Website, sodass sich spezielle Inhalte leichter finden lassen.

 

Zusammenfassung der Theorie

Die Rolle der auditiven Rückmeldung (Hör-Rückmeldung) bei der Verursachung des Stotterns wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Bekanntlich wird durch Veränderungen der auditiven Rückmeldung das Stottern oft vorübergehend vermindert oder sogar beseitigt, doch der dieser Wirkung zugrunde liegende Mechanismus ist bis heute kaum verstanden. Hier wird eine Theorie vorgeschlagen, derzufolge das chronische idiopathische Stottern hauptsächlich durch vorübergehende Störungen der auditiven Rückmeldung der Sprache, aber auch durch ein Defizit bei der propriozeptiv-kinästhetischen Rückmeldung der Atmung verursacht wird. Die Rückmeldungsdefizite werden auf eine Fehlverteilung der Aufmerksamkeit während des Sprechens zurückgeführt. Es wird angenommen, dass durch diese Rückmeldungsdefizite die Enden von Sprecheinheiten (also z.B. von Wörtern oder Silben) und/oder die Enden von Einatemphasen durch eine Kontrollinstanz innerhalb des Steuerungssystems nicht erkannt werden, was dazu führt, dass die nachfolgende Sprecheinheit blockiert wird. Die Theorie liefert Erklärungen für die Entstehung des kindlichen Stotterns, für die Art und Weise, wie Stottern chronisch wird, für die typische Verteilung von Stotterereignissen innerhalb der Rede und für die Variabilität des Stotterns in Abhängigkeit von Umgebungsfaktoren.

Die Abbildung zeigt den Kern der Theorie: Sprechfehlerkorrektur (links) und Stottern (rechts) basieren auf demselben Mechanismus; der Monitor (im Kreis) verhält sich in beiden Fällen gleich. MIR = Main Interruption Rule (siehe Abschnitt 2.1).

Stottern, Ursachen, Theorie: Stottern versus Sprechfehler-Korrektur


Die wichtigsten Thesen der Theorie sind:

 Stottern, Ursachen; Kausalkette


Die Abbildung zeigt die vermutete Ursachenkette für ein primäres Stottersymptom. Die Kette schließt sich zum Teufelskreis, wenn die Erfahrung des Stotterns zur Stotter-Erwartung und zur Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Störung führt:

 Stottern, Ursachen: Teufelskreis, Sekundärsymptome

Die obere Abbildung zeigt den Kreislauf des chronischen Stotterns und die verstärkende Wirkung einiger Sekundärsymptome. Die entscheidenden Teile des Teufelskreices sind der Fokus auf dem Stottern und die daraus resultierende Fehlsteuerung der Aufmerksamkeit während des Sprechens. Gerade diese Teile des Teufelskreises werden durch einige Sekundärsymptome verstärkt.
Die untere Abbildung zeigt den Einfluss von Faktoren, die vermutlich eine physischen Prädisposition für Stottern begründen, sowie den Einfluss psychischer Faktoren. Wie in der oberen Abbildung, ist die Schnittstelle zum eigentlichen „Stotter-Mechanismus“ – also jenem Teufelskreis, der einmal etabliert, sich selbst am Laufen hält – die (Fehl-) Steuerung der Aufmerksamkeit (aus Darstellungsgründen ist der „Teufelskreis“ gegenüber der oberen Abbildung gedreht).

 Stottern, Ursachen: physische Veranlagung, psychische Faktoren




Zur Orientierung auf dieser Website

Nicht zufällig habe ich ein Labyrinth als Logo gewählt: Die Theorie, die ich hier vorstelle, besteht aus vielen Teilen, die miteinander zusammenhängen. Irgendwie musste ich die Teile in eine Reihenfolge bringen, die der Leser aber nicht unbedingt einhalten muss. Die eigentliche Theorie des Stotterns ist in den Kapiteln 2 und 3 dargestellt. Das erste Kapitel behandelt das normale Sprechen und die Rolle, die das Hören der eigenen Rede für die Sprechsteuerung spielt. Dieses Kapitel ist recht umfangreich. Es enthält einige Annahmen, die von gängigen Vorstellungen abweichen und die die Basis der vorgeschlagenen Theorie des Stotterns bilden.

Die Darstellung der Theorie ist auf mehrere Seiten verteilt. Man kann vom Inhaltsverzeichnis aus auf jede dieser Seiten gehen, kann aber auch von Seite zu Seite blättern. Fußnoten sind verlinkt; man kann von der Fußnote zur betreffenden Stelle im Haupttext zurückspringen. Literaturverweise stehen in eckigen Klammern und sind unten auf der jeweiligen Seite aufgelistet. Die vollständigen Quellenangaben stehen im Literaturverzeichnis. Für Kritik und Anregungen an meine E-mail-Adresse bin ich jederzeit dankbar.

Empfehlungen für Betroffene

Diese Website richtet sich vor allem an Fachleute und an theoretisch Interessierte. Aus der vorgestellten Theorie über die Ursachen des Stotterns lassen sich jedoch Konsequenzen für die Behandlung der Störung ableiten. Auf dieser Grundlage habe ich eine Reihe von Empfehlungen für Betroffene und für Eltern stotternder Kinder formuliert. Dabei handelt es sich nicht um neue Methoden, sondern um solche, die seit langem bewährt sind und die sowohl in Selbsthilfe-Seminaren als auch von professionellen Therapeuten angewandt werden. Neu ist allenfalls die Kombination der Methoden. Sie finden diese Tipps unter „Selbsthilfe“.

 

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