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4. 2. Aufmerksamkeit und Sprachlateralisierung (gelöschter Teil)

Neben Abweichungen in der Hirnaktivität während des Sprechens wurden bei erwachsenen Stotterern auch anatomische Abweichungen festgestellt, so z.B. eine Vergrößerung und atypische, d.h. rechtslastige Asymmetrie des Planum temporale [1] – allerdings mit starken individuellen Unterschieden [2]. Das Planum temporale ist eine Kortexregion, die mit der auditiven Verarbeitung und mit dem Erkennen und Verstehen von Sprache zu tun hat; das linke Planum temporale ist Teil des Wernicke-Areals. Weiterhin wurde bei erwachsenen Stotterern (als Gruppe) in verschiedenen Regionen der Großhirnrinde mehr graue und weiße Hirnmasse festgestellt als bei Nichtstotterern [6]. Auch hier war besonders der Temporalkortex betroffen, und zwar der rechte stärker als der linke. Untersuchungen bei Kindern lieferten z.T. widersprüchliche Resultate: In einer Studie [3] wurde bei stotternden Kindern im Alter von 9 bis 12 Jahren keine Zunahme der grauen Masse auf der rechten Hirnhälfte gefunden. In einer anderen Studie [4] wurde ein im Durchschnitt größeres Volumen der grauen Hirnmasse im rechten Rolandischen Operculum (d.h. im motorischen Kortex) und im rechten Gyrus temporalis superior bei den stotternden Kindern gefunden.

Allerdings waren auch die in der zuletzt genannten Studie untersuchten Kinder zwischen 5 und 12 Jahre alt – das Durchschnittsalter lag bei knapp 10 Jahren – und sie hatten zum Zeitpunkt der Untersuchung mindestens zwei Jahre lang gestottert. Das bedeutet, dass die Zunahme der grauen Hirnmasse durchaus eine Folge des Stotterns selbst oder des Sekundärverhaltens sein kann, denn die häufige Aktivierung einer Kortexregion kann schon nach kurzer Zeit zu einer Zunahme der grauen Masse führen: In einem Experiment [5] konnte gezeigt werden, dass bereits nach einem Monat Training im Jonglieren eine deutliche Zunahme der grauen Masse in Hirnregionen, die an der Steuerung dieser Bewegungen beteiligt waren, nachweisbar ist. Manche anatomische Abweichungen bei Stotterern könnten aber auch Ausdruck einer Veranlagung zum Stottern sein: So könnte etwa eine größere Dichte der grauen Hirnmasse im rechten primär-auditiven Kortex [19] im Zusammenhang mit Defiziten in der zentral-auditiven Verarbeitung stehen (siehe nächsten Abschnitt).

Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass ein Zusammenhang zwischen der Stotterschwere und einer atypischen, d.h. rechtslastigen Planum temporale-Asymmetrie besteht [2]. Die Vergrößerung des rechten Planum temporale könnte darauf zurückzuführen sein, dass Funktionen der Sprachwahrnehmung, die normalerweise von der linken Hemisphäre übernommen werden, nach rechts verlagert sind. Interessant war nun, dass (1) die Stotterer mit der atypischen Planum temporale-Asymmetrie die schwereren Stotterer waren, und dass (2) bei diesen das Stottern durch künstlich verzögerte auditive Rückmeldung (DAF) deutlich vermindert werden konnte; sogar die künstliche auditive Rückmeldung ohne DAF (d.h., die eigene Stimme wurde über Kopfhörer gehört, ohne dass eine Verzögerung eingestellt war) bewirkte bereits eine Verminderung der Stotterfrequenz (zur Wirkung von DAF siehe Abschnitt 4.1.). Bei den Stotterern mit typischer, also linkslastiger Planum temporale-Asymmetrie, die zugleich die milderen Stotterer waren, traten diese Effekte nicht auf.

Wie bereits im vorigen Abschnitt ausgeführt, bewirken die künstliche und erst recht die verzögerte auditive Rückmeldung vermutlich nichts weiter, als dass die Aufmerksamkeit des Sprechers auf das Hören seiner eigenen Rede gezogen wird. Dadurch kann, wie oben erläutert, die Verarbeitung mehr auf die linke Hirnhälfte verlagert werden, und gleichzeitig wird das Stottern reduziert. Das würde umgekehrt bedeuten, dass das vergrößerte rechte Planum temporale die Langzeitfolge einer ineffektiven Aufmerksamkeitssteuerung wäre: dass nämlich bei sprachlichen Reizen die Aufmerksamkeit zu wenig auf die phonologisch-lexikalische Komponente gerichtet ist, oder, anders gesagt, dass die Geräusch-Anteile der Sprache zu stark wahrgenommen und in die Verarbeitung einbezogen werden. Diese Vermutung wird unterstützt durch Befunde über eine abweichende zentral-auditive Verarbeitung, speziell ein schlechtes auditives Gating (Unterdrückung von redundanter Information) bei Stotterern – siehe dazu den nächsten Abschnitt.

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Quellen

  1. Foundas et al. (2001)
  2. Foundas et al. (2004a)
  3. Chang et al. (2008)
  4. Beal et al. (2013)
  5. Draganski et al. (2004), Driemeyer et al. (2008)
  6. Beal et al. (2007), Jäncke et al. (2004), Song et al. (2007)

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